Viele halten die kleinen weißen Pünktchen in luftgetrocknetem Schinken für Schimmel oder andere unerwünschte Nebenprodukte. Weit gefehlt! Die Einschlüsse sind Hinweise auf allerhöchste Qualität.
Kürzlich bin ich mal wieder gefragt worden, was man denn von einem Pata-Negra- oder Serrano-Schinken halten solle, der im Fleisch klitzekleine weiße Pünktchen aufweist. Ob das denn Schimmel sei oder sonst eine schädliche Ablagerung? Und ob man den geliebten jamón nun entsorgen müsse?
„NEEEIN, bloß nicht!“, kann ich da nur sagen. Die Tüpfelchen sind ganz typisch für besonders langsam und gleichmäßig gereiften Schinken. Also kein Mangel, sondern – im Gegenteil – ein absolutes Qualitätsmerkmal.
Es mag nicht verwundern, dass diese Tatsache bei uns noch nicht sehr bekannt ist. Schließlich haben luftgetrocknete Schinken in Mitteleuropa keine lange Tradition. Aber ich staune schon, wie viel Humbug zu diesem Thema kursiert: Von zu viel Salz über Schimmel bis zu den Eiern von Schädlingen reichen die Horrorgeschichten über die weißen Punkte im Schinken. – Alles Quatsch!
Tyrosin – natürlicher Hinweis auf die besonders lange Reifung von Schinken
Die weißen Pünktchen sind Kristalle der Aminosäure Tyrosin (bitte nicht verwechseln mit dem Schilddrüsenhormon Thyroxin, das in diesem Zusammenhang manchmal auch genannt wird – wahrscheinlich, weil das Wort so ähnlich klingt).
Um Licht in das – zugegebenermaßen – schwierige Thema zu bringen, habe ich Prof. Dr. Waldemar Ternes von der Tierärztlichen Hochschule Hannover zu Rate gezogen. Der gelernte Küchenmeister ist dort Leiter der chemischen Analytik und hat ausführlich über luftgetrocknete Schinken geforscht.
„Über die Entstehung von Tyrosin bei der Schinkenherstellung weiß man noch recht wenig“, so der Wissenschaftler. „Klar ist auf jeden Fall, dass im Lauf eines langen und langsamen Reifeprozesses ein Teil der Eiweiße (Proteine) im Fleisch abgebaut wird. Dabei werden geringe Mengen der Eiweiß-Bausteine frei – und das sind die Aminosäuren.“
Kristalle wie beim Salz aus dem Meer
Weiter erklärt der Experte: „Da das Fleisch im Laufe der Reifung immer mehr Wasser verliert, kristallisiert die Aminosäure Tyrosin in kleinen Mengen aus und bildet dabei seidig glänzende Kristalle.“ Ein ähnlicher Prozess also wie in einer Saline am Meer, wenn das Wasser verdunstet und Salz übrigbleibt. Und hier wird klar, wieso die Tyrosin-Kristalle wirklich nur bei sehr lange gereiftem Schinken zu finden sind: Je länger die Reifezeit, desto höher die Tyrosin-Konzentration. Außerdem haben Schinken mit kürzerer Reifezeit einfach noch so viel Wasser, dass das Tyrosin nicht auskristallisiert.
Auf den Geschmack haben die kleinen feinen Pünktchen übrigens kaum einen Einfluss. Sie belegen nur, dass ein Schinken eine ausgiebige Reifezeit hinter sich hat. Und noch was – auch wenn die Mengen im Schinken nicht für eine nachweisliche Wirkung ausreichen: Tyrosin gilt als stimmungsaufhellend…
Freuen Sie sich also mit genussvollem Schmunzeln über die winzigen Kristalle in Ihrem Pata-Negra- oder Serrano-Schinken – wie über kleine Diamanten.