»Esta noche es Nochebuena y no es noche de dormir«, sagen die Spanier: Heute ist Heiligabend – und keine Nacht zum Schlafen. Also fangen sie schon mittags an zu feiern. Mit Cava, Tapas und fröhlichen Liedern. Und nach dem großen Weihnachtsessen an Heiligabend geht’s am ersten Feiertag genauso weiter.
»An Heiligabend gehen in Madrid eigentlich alle gern zur Arbeit«, sagt meine Freundin Vanessa. Und Vanessa muss es wissen. Schließlich stammt sie aus Madrid und feiert dort immer noch jedes Jahr mit ihrer Familie Weihnachten. An Heiligabend, so erzählt sie, arbeiten die meisten Leute in den Büros nur bis Mittag, dann geht’s mit dem gesamten Team in die nächste Bar oder Kneipe. Auf ein Gläschen Cava und ein paar Tapas.
Am frühen Nachmittag verschwinden dann alle langsam in den eigenen vier Wänden. Dort wurde in den letzten Tagen die Krippe aufgebaut. Meistens bekommt ein Paar schon zur Hochzeit eine Art Weihnachts-Aussteuer geschenkt: als Basis erst einmal den Stall mit Krippe, Jesus, Maria und Joseph und ein paar Tiere. Jahr für Jahr kommen dann ein paar Figuren, Tiere, Brücken oder ein neues Dorf dazu, wer genug Geld hat kauft schöne, handwerklich gefertigte Figuren aus Holz. Mit der Zeit nimmt die Krippe dann in manchen Familien das halbe Wohnzimmer ein. »Die haben dann richtige Landschaften zu Hause, mit Seen und Flüssen mit echtem Wasser, ganzen Armeen von Soldaten, Schafherden undsoweiter«, erzählt Vanessa.
Schon den ganzen Tag stehen an Heiligabend die Frauen in der Küche und schnippeln und kochen. Die Männer sind fürs Ausräumen des Wohnzimmers zuständig, denn neben der Krippe muss ja auch noch der große Tisch für die ganze Sippschaft Platz haben – und in vielen Familien heute auch der Weihnachtsbaum, meistens aus Plastik. »Das ist in Spanien zwar keine echte Tradition«, sagt Vanessa, »aber wir sind eben international. Manche wechseln die Baumdeko sogar jedes Jahr – je nach Mode.«
Die Kinder ziehen am Nachmittag in Grüppchen los und singen Weihnachtslieder in der Nachbarschaft. Als Belohung gibt’s ein aguinaldo, ein kleines Weihnachtstrinkgeld – wie auch für die Straßenkehrer, den Hausmeister und den Postboten, der am 24. Dezember an der Haustür klingelt und die Post persönlich abliefert.
Startschuss fürs große Weihnachtsessen ist in Vanessas Familie der Discurso del Rey im Fernsehen, die Weihnachtsansprache des Königs. Danach wird aufgetischt – immer abwechselnd bei Vanessas Eltern und den Schwiegereltern. Als Vorspeise gibt’s zu einem Glas Manzanilla-Sherry die edelsten Tapas: Schinken, Chorizo und Lomo – »alles Ibérico«, wie Vanessa betont, also vom Schwarzen Iberischen Schwein. Außerdem croquetas de jamón (Schinkenkroketten), feine Leberpastete und Langostinos mit Mayonnaise. Dann kommt eine Fischsuppe auf den Tisch und als Hauptgang bei Vanessas Mutter die klassische zarzuela de mariscos, eine üppige Fischplatte mit merluza (Seehecht) und Meeresfrüchten. Die Schwiegermutter, bei der Vanessa mit Kind und Kegel dieses Jahr wieder feiert, gibt’s dagegen traditionell geschmorte Lammkeule aus dem Ofen. Der Nachtisch allerdings ist bei allen wieder gleich: Turrón (Mandelnougat), peladillas, polvorones und anderes typisches Weihnachtsgebäck, begleitet von einem Glas Cava.
Den ganzen Nachmittag und Abend wird immer wieder spontan gesungen – sogar schon beim Kochen, wie Vanessa erzählt. »Aber die Weihnachtslieder sind ganz anders als bei euch in Deutschland. Eure sind ja eher ruhig und süß. Unsere villancicos haben teils richtig lustige und freche Texte und auch die Musik ist sehr lebhaft.« Und dann meint sie, ich solle mir auf Youtube doch mal La Marimorena anschauen.
Und wie ist das jetzt mit den Geschenken? In Spanien kommen die ja traditionell erst am 6. Januar mit den Heiligen Drei Königen. »Naja«, sagt Vanessa, »die Globalisierung macht Druck. In vielen spanischen Familien gibt’s jetzt auch Geschenke an Heiligabend oder am 25. Dezember morgens. Und am 6. Januar bekommen die Kleinen nochmal Geschenke, das wird jetzt eben einfach aufgeteilt.«
Bis heute besuchen viele Familien nach dem Weihnachtsessen gemeinsam die Mitternachtsmesse, die in Spanien misa de gallo (»Hahnenmesse«) heißt. In Vanessas Gemeinde gibt’s nach der Messe ein Glas Cava mit Turrón. Und danach wird zu Hause weiter gefeiert nach dem Motto: »Esta noche es Nochebuena y no es noche de dormir.«